Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach,
wir kennen Sie seit vielen Jahren als sozial und kulturell kompetenten und engagierten Bürgermeister. Wir wenden uns heute aber auch an Sie in Ihrer Rolle als Vorsitzender des Sanierungsbeirates in Weingarten, der in der nächsten Woche zusammentritt. In Freiburg fehlen nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung rund 20.000 Wohnungen im unteren Preissegment. Dazu zählen bekanntlich gerade die älteren Wohnanlagen in Weingarten. Leider hat gerade dort die Freiburger Stadtbau GmbH in den letzten Jahrzehnten immer wieder ganze Wohnblöcke privatisiert (u.a. Krozinger Str. 58, Bugginger Straße und Binzengrün 34) und dem Mietwohnungsmarkt entzogen.
Begründet wurde dies immer wieder mit der vagen Behauptung, damit eine „bessere soziale Durchmischung“ herbeizuführen. Als Kulturbürgermeister können Sie uns sicherlich zustimmen, dass hier viele latente und offenkundige Stigmatisierungen und Diskriminierungen der bisherigen Bewohner*innen mitschwingen. Worin unterscheiden sich eigentlich Eigentümer*innen von Mieter*innen?
Spätestens seit der Kampagne für die Bebauung des Dietenbachgeländes, in der wir uns mit Ihnen gemeinsam engagierten, dürfte es in Freiburg unstrittiger Konsens sein, dass dringend jede bezahlbare Mietwohnung benötigt wird. Als Sozialbürgermeister, kennen Sie die Notfallstatistiken, die Zahlen der Obdachlosen ebenso wie die der Geringverdienenden in unserer Stadt. Schon von daher rechnen wir mit Ihrem Einsatz für den Erhalt dieser städtischen Mietwohnungen.
Als Sozialbürgermeister ist Ihnen ferner bekannt, dass die Hypothese, wonach ein Auswechseln von Bewohner*innen einzelner Wohnblöcke die soziale Lage eines Stadtteiles, insbesondere ihrer sozial benachteiligten Familien, automatisch verbessere, durch nichts belegt ist. Tatsächlich liegt bis zum heutigen Tage keine einzige fachlich fundierte Untersuchung der Wirkungen bisheriger Privatisierungstransfers vor.
Von daher erwarten wir von der Stadt Freiburg, dass sie nicht scheibchenweise die ursprüngliche Stadtbauverkaufsstrategie des alten Oberbürgermeisters fortsetzt. Stattdessen halten wir einen grundlegenden öffentlichen Diskurs über soziale Stadtentwicklungsfragen, etwa nach der so genannten „sozialen Durchmischung“ aller Freiburger Stadtteile für unverzichtbar.
Vor allem aber sollte die gesamte Bevölkerung von Weingarten in solchen wichtigen Strukturfragen nicht nur gehört sondern auch befragt werden. Deshalb schlagen wir jetzt, wo öffentliche Versammlungen wieder realisierbar erscheinen, zunächst eine Bürger*innenversammlung für Weingarten vor, bei der alle Argumente für und wider einem Verkauf dieser Wohnungen zur Diskussion gestellt werden. Des Weiteren regen wir an, dass am Ende dieser Versammlung eine Art „Stadtteilentscheid“ herbeigeführt wird, in dem die Versammelten ein Meinungsbild erstellen, das dem Freiburger Gemeinderat vorzulegen ist.
Bitte Herr von Kirchbach unterstützen Sie unser Anliegen, in dem Sie zunächst diesen Brief allen Mitgliedern des Sanierungsbeirates zur Verfügung stellen. Selbstverständlich würden wir uns auch über ein öffentliches Statement im obigen Sinne freuen.
Freundliche Grüße für das
FREIBURGER MIETENBÜNDNIS FÜR DAUERHAFT BEZAHLBARE MIETWOHNUNGEN
Annette Brox, Anne Reyers, Dr. Clemens Back, Joshua Diaz, Prof. Dr. Günter Rausch
210626_Offener_Brief_an_1ter_BM_Verkauf_in_Sulzburger_Str_26Juni2021